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Studie

BEE-Wärmeszenario 2045

21. November 2022

1 EINLEITUNG

Die Wärme ist der schlafende Riese der Energiewende. Mit einem Anteil von 52 % am Endenergieverbrauch ist die Wärmeversorgung der größte Verbrauchssektor, noch vor Verkehr (26,5 %) und Strom (21,4 %). Nachdem sich die energie- und klimapolitische Diskussion in den letzten Jahren überwiegend auf den Stromsektor konzentriert hatte, ist der Wärmebereich mittlerweile stärker in den Fokus gerückt: Der russische Angriff auf die Ukraine und die Abhängigkeit von russischen Erdgasimporten machen es umso dringender, die Wärmewende verstärkt voranzutreiben. Für den Großteil der Wärmeversorgung in Gebäuden wird nach wie vor Erdgas genutzt, vor allem zur Erzeugung von Raumwärme.1 Auch der Industriesektor ist in hohem Maße auf Erdgas als Energieträger für die Erzeugung von Prozesswärme und zur stofflichen Nutzung angewiesen. Bei einem Anteil von nunmehr 26 % am deutschen Gasverbrauch (im Vergleich zu 55 % in Vorkriegszeiten), ist die Wärmeversorgung nach wie vor besonders abhängig von russischen Erdgasimporten.2 Gleichzeitig erfordern die Klimaschutzziele ein rasches und wirkungsvolles Handeln in der Wärmeversorgung von Gebäuden, Gewerbe und Industrie.

Während der Einsatz der Erneuerbaren Energien im Stromsektor bis zum Jahr 2020 auf 50 % gesteigert wurde, stagniert der Transformationsprozess in der Wärme seit mehreren Jahren. So werden Wärme- und Kältebereitstellung gerade einmal zu 16,5 % aus Erneuerbaren Energien realisiert.3 Der restliche Anteil an der Wärmeversorgung ist auf fossile Energieträger zurückzuführen. Gebäude verursachen rund ein Viertel aller Treibhausgasemissionen in Deutschland. Die Wärmeversorgung ist daher das klimapolitische Sorgenkind der Energiewende. Für die Erreichung der Klimaschutzziele ist es entscheidend, die Wärmewende unverzüglich zu priorisieren. Der Großteil der Wärmeversorgung wird durch fossiles Gas (50 %) erzeugt, ein kleiner Teil entfällt auf Kohle (ca. 10 %) und Öl (ca. 20 %). Entgegen der Zielsetzung im Klimaschutzgesetz, welches eine fortschreitende Minderung vorsieht, wurde das Emissionsbudget für den Gebäudesektor im Jahr 2022 überschritten. Ohne eine entschiedene Reform des regulatorischen Rahmens droht eine Verstetigung dieses Trends und eine Verfehlung der Klimaschutzziele.

Die deutsche Klimaschutzpolitik sieht vor, bis zum Jahr 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen. Dafür muss die gesamte Energieversorgung transformiert und auf 100 % Erneuerbare Energien umgestellt werden. Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag das Zwischen- ziel von 50 Prozent klimaneutral erzeugter Wärme bis zum Jahr 2030 formuliert.

Der Bundesverband Erneuerbare Energie e.V. (BEE) hat sich daher mit seinen Mitgliedsverbänden – Deutscher Industrieverband Concentrated Solar Power (DCSP), Bundesverband Solarwirtschaft (BSW), Fachverband Biogas (FvB), Bundesverband Bioenergie (BBE), Deutscher Energieholz und Pellet-Verband (DEPV), Bundesverband Geothermie (BVG) und Bundesverband Wärmepumpe (BWP) – über die Ausbaupotenziale und Ausbaugeschwindigkeit ebenso wie den komplementierenden sinnvollen Einsatz der Erneuerbaren Energien verständigt. Das Ergebnis ist das hier ausgearbeitete Wärmeszenario.

Das Wärmeszenario zeigt auf, in welchem Umfang Erneuerbare Technologien eingesetzt werden können und müssen, aber auch, mit welcher Geschwindigkeit der Ausstieg aus den konventionellen Energieträgern erfolgen muss. Es handelt sich um eine bilanzielle Darstellung des Einsatzes der verschiedenen Technologien im Hinblick auf den erwarteten Endenergieverbrauch. Eine klimaneutrale Wärmeversorgung bis zum Jahr 2045 ist möglich, doch sie setzt einen ambitionierten Ausbau sowie ein entschlossenes Handeln der Bundesregierung voraus. Notwendige Weichenstellungen müssen geschaffen und Hindernisse beseitigt werden, um die hier gezeigten Potenziale im gefragten Ausmaß und in der vorgegebenen Zeit nutzbar werden zu lassen. Im BEE-Papier „Maßnahmenvorschläge für eine Beschleunigung der Wärmewende und des Klimaschutzes“ sind diese beschrieben.

 

2 WÄRMESZENARIO 2045

Für die Wärmebereitstellung in Deutschland war im Jahr 2020 ein Endenergieverbrauch von ca. 1.200 Terawattstunden (TWh) notwendig. Aufgrund von bspw. energetischen Modernisierungen, einem effizienteren Heizverhalten und der Reduzierung von Effizienzverlusten gehen Studien wie die der Agora Energiewende „Wert der Effizienz im Gebäudesektor“, die Langfristszenarien des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) sowie die BEE-Strommarktstudie von einem Rückgang des Verbrauchs in den beiden Sektoren aus. Auf dieser Grundlage wird hier von einer Reduzierung des Wärmeverbrauchs auf 900 TWh im Jahr 2045 ausgegangen.

Zur Erreichung der Treibhausgasneutralität muss die Wärmeversorgung bis 2045 auf Erneuerbare Energien umgestellt werden. Bis zum Jahr 2030 sollen laut Koalitionsvertrag der Ampelkoalition 50 % der Wärme erneuerbar sein. Wie diese Transformation und damit der Ausbau und der Einsatz der Wärmeerzeuger ausgestaltet werden kann, zeigt Abbildung 1.

Der Bereich „Fossile und Sonstige“ stellt heute 1.090 TWh der Wärmeversorgung. Er setzt sich zusammen aus den Energieträgern Kohle, Gas, Öl, aber auch aus dem Anteil des Stroms zur Wärmeversorgung, welcher auf fossile Energiequellen zurückgreift, sowie dem nicht biogenen Anteil des Abfalls. Im Einklang mit den Zielen der Bundesregierung wird eine Reduzierung des Einsatzes dieser Energieträger bis zum Jahr 2030 auf 50 % angenommen. Die fossilen Energieträger Kohle, Gas und Öl werden bis zum Jahr 2045 nicht mehr zur Wärmeversorgung eingesetzt. Die restlichen 30 TWh, die im Jahr 2045 noch den fossilen Energieträgern zugeordnet werden, entfallen auf den nicht vermeidbaren, nicht biogenen Anteil des Abfalls. Durch einen ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren Energien ist es möglich, die Wärmeversorgung durch Gas von einem Anteil von ca. 50 % in 2021 auf 25 % im Jahr 2030 zu reduzieren. Für diese anforderungsgerechte Dekarbonisierung der Wärmeversorgung ist es erforderlich, die Potenziale aller Erneuerbarer Wärmetechnologien so weit wie möglich auszuschöpfen. Der Einsatz eines breiten Spektrums Erneuerbarer Wärmetechnologien und -quellen ist notwendig.

Abb. 1: Wärmeversorgung in Deutschland bis zum Jahr 2045 in TWh

 

Quelle: Eigene Darstellung

 

Zu berücksichtigen ist, dass die verstärkte Nutzung von Erneuerbaren Energien im Wärmesektor aktuell durch eine Vielzahl von Hemmnissen gebremst wird. Dazu gehören u.a. die zu geringen handwerklichen Kapazitäten, ein CO2-Preis mit einer nicht ausreichenden Lenkungswirkung, unzureichende Förderprogramme, konterkarierende Förderung fossiler Technologien, Lock-in-Effekte, ein fehlender ordnungsrechtlicher Rahmen sowie klimapolitisch kontraproduktive Restriktionen bei der Biomassegewinnung. Eine auf Erneuerbare Wärme ausgerichtete Ausgestaltung des Wärmemarktes ist daher unbedingt erforderlich, um die in dem Wärmeszenario gezeigte Transformationsgeschwindigkeit tatsächlich zu erreichen. Das Wärmeszenario konnte den Einsatz innovativer Technologien und Anwendungen nur bedingt berücksichtigen und quantifizieren. Das losgelöste rein technische Potenzial der einzelnen Wärmetechnologien liegt teilweise deutlich höher als abgebildet.

In der Transformation der Gebäudewärmeversorgung steht ein massiver Anstieg des Einsatzes von Wärmepumpen bevor. Die Bundesregierung hat das Ausbauziel von 4-6 Mio. installierten Wärmepumpen bis zum Jahr 2030 gesetzt. Die Wärmepumpe stellt heute erst 2 % der Wärmeversorgung. Dies kann durch eine ambitionierte Verfolgung des angekündigten Wärmepumpen-Rollouts auf 18 % im Jahr 2030 und 38 % im Jahr 2045 steigen.4

Der Einsatz der Solarthermie birgt allein und in Ergänzung zu den Wärmeanwendungen der Wärmepumpe sowie zu verschiedenen Bioenergieträgern Potenziale. Die Solarthermie trägt heute ca. 1 % zur Wärmeversorgung bei. Der Beitrag an der Wärmebereitstellung kann sich bis zum Jahr 2030 auf 5 % und damit 40 TWh erhöhen. Das von Transformationshemmnissen losgelöste, rein technische Potenzial beziffert die Branche mit 100 TWh Solarwärme in den Bereichen dezentrale Wärme, Fern- und Prozesswärme. Für den hier gezeigten Einsatz der Solarthermie muss im Rahmen der Einführung einer Solardachpflicht auf eine technologieoffene Erfüllungsoption geachtet werden, die neben dem Einsatz von Photovoltaik (PV) auch den Einsatz von Solarthermie ermöglicht. Weitere zu vermeidende Hemmnisse und geforderte Rahmenbedingen für einen adäquaten Ausbau der Solarthermie können neben dem BEE-Papier aus der Stellungnahme des BSW „Agenda Solarthermie 2022“ entnommen werden.

Im deutschen Wärmemarkt noch wenig bekannt ist die konzentrierende Solarthermie. Auch hierzulande können Parabolrinnen regelbare Wärme zwischen 50 und 430 °C liefern. Insbesondere in Kombination mit thermischen Speichern verfügt diese Technologie über ein beachtliches Potenzial bei der Bereitstellung von Wärme. Der Einsatz konzentrierender Solarthermie wird vor allem im Bereich der industriellen Prozesse und für Wärmenetze verortet. Rahmenbedingungen und mögliche Maßnahmen zur Förderung des Markthochlaufs beschreibt das DCSP-Positionspapier “Wärmewende für Versorgungssicherheit in der Industrie”.

Für die kurzfristige Reduzierung des Einsatzes fossiler Energieträger auf nur 50 % der Wärmeversorgung bis 2030 ist die Ausweitung des Einsatzes von Bioenergieträgern essenziell. Die gezeigten TWh, die auf den Einsatz der Biomasse zurückzuführen sind, erlauben ausreichende Kapazitäten für die Bedienung anderer Verbrauchssektoren. Voraussetzung ist, dass mögliche Hürden und Hemmnisse in den politischen Bereichen EU-Biodiversität und Forststrategie, Biomassestrategie, LULUCF-Verordnung etc., dem nicht entgegenstehen. Wie diese Voraussetzung im Sinne des Klimaschutzes erfüllt werden können, lässt sich in dem Papier “Appell für aktiven Klimaschutz mit Wald und Holz“ nachlesen.

Die großen Potenziale, welche die Geothermie birgt, sind bisher noch kaum erschlossen. Grundsätzlich wird zwischen der Oberflächennahen und der Tiefen Geothermie unterschieden. Im Bereich der Oberflächennahen Geothermie werden Erdwärmesonden oder Erdwärmekollektoren in Verbindung mit Wärmepumpen zur Wärmebereitstellung genutzt. Die Erschließung von Lagerstätten, die tiefer als 400 m liegen, wird als Tiefe Geothermie bezeichnet. Hierbei werden die hohen Temperaturniveaus wasserführender Gesteinsschichten technisch nutzbar gemacht. Abhängig von Förderrate und Temperatur kann das Thermalwasser zur Erzeugung von Strom und/oder Wärme genutzt werden. Zusammengerechnet liegt das Bereitstellungspotenzial der beiden Nutzungsarten bei mindestens 186 TWh/ Jahr. Aktuelle Studien deutscher Spitzenforschungsinstitute bewerten das Potenzial der Technologie für die Wärmeversorgung sogar weitaus höher 5, 6, 7, 8. Das Ausbaupotenzial zeigt Abbildung 2.

Abb. 2: Geothermie als Wärmequelle bis 2045 in TWh

Quelle: Eigene Darstellung

Die Rahmenbedingungen, die zusätzlich zu den im BEE-Papier benannten Punkten erforderlich sind, speziell für den Hochlauf der Geothermie, können dem Papier “Klimaneutrale Wärme aus Geothermie 2045” entnommen werden.

Die Nachfrage nach Wärme erfolgt nicht homogen. Sie unterscheidet sich nicht nur räumlich und zeitlich, sondern auch in den erforderlichen Temperaturniveaus und den Anforderungen der Wärmeanwendungen. Der gezeigte Einsatz und die Bedeutung der jeweiligen Erneuerbaren Energien unterscheiden sich daher in den einzelnen Sektoren Gebäudebereich und Industriebereich von der Gesamtansicht. Es muss auch differenziert werden zwischen der Art der Wärmeversorgung. Diese kann dezentral und zentral durch die Fernwärmenetze bedient werden. Wie die Transformation der Wärmeversorgung in den beiden Sektoren und der Fernwärmeversorgung umgesetzt werden kann, zeigen die folgenden Kapitel.

 

2.1 Gebäudesektor

Der Gebäudesektor benötigt in Deutschland nach heutigem Stand ca. 787 TWh an Endenergie für die Wärmeversorgung. Vor dem Hintergrund der energetischen Modernisierungen sowie einem effizienteren Heizverhalten und der Reduzierung von Effizienzverlusten wird von einem Rückgang des Verbrauchs auf 430 TWh bis 575 TWh ausgegangen9, 10.

Die Gebäudewärme umfasst alle Wärmeanwendungen, die in Haushalten sowie im Bereich von Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (GHD) anfallen, einschließlich der dort genutzten Prozesswärme. Im Szenario des BEE-Wärmeszenarios wird die Endenergienachfrage in diesem Sektor, ausgehend vom heutigen Stand, bis zum Jahr 2045 um 30 % reduziert.

Für die Bereitstellung von Raumwärme, Warmwasser und Prozesswärme im Gebäudebereich existieren zentrale (Nah- & Fernwärmenetze) sowie dezentrale Lösungen (Einzelheizungen, Gebäudenetze).

Die Erneuerbaren Energien stellen heute einen Anteil von nur 19 % der Wärmeversorgung im Gebäudebereich. Ihr Einsatz im Gebäudesektor muss daher innerhalb weniger Jahre massiv ansteigen, um das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel klimaneutral erzeugter Wärme erreichen zu können.

Dies erfordert die Erhöhung der Austauschrate von fossil betriebenen Gas- und Ölheizungen bis zum Jahr 2030. In der Umsetzung entfällt ein Großteil auf elektrische Wärmepumpen, welche als neuer Beheizungsstandard den Heizkessel ablösen werden. Hinsichtlich der durch Wärmepumpen nutzbar gemachten Wärmequellen wird im Gebäudebereich ein Mengenverhältnis von ca. 80 % Außenluft zu 20 % Erdwärme (und weiteren Wärmequellen) angenommen (Abb. 3).

Abb. 3: Dezentrale Gebäudewärme bis 2045 in TWh

Quelle: Eigene Darstellung

Um die fossile Wärmeversorgung vollständig abzulösen, ist bis zum Jahr 2030 ein Ausbau-Schub für dezentrale Pellet- und Holzhackschnitzelheizungen geeignet, um sowohl Kohle-, Öl- und Erdgasheizungen, aber auch viele veraltete und ineffiziente Holzöfen zu ersetzen. In deutlich geringerem Maße steigt auch die Beimischung von Biomethan in dezentralen Gaskesseln. Ab dem Jahr 2030 stagniert die Nutzung dezentraler Holzheizungen aufgrund der höheren Gebäudeeffizienz. Der Einbau beschränkt sich dann weitgehend auf den Ersatz älterer Heizungen.

In Wärme- und Gebäudenetzen kann die Solarthermie, wie in Einzelgebäuden auch, im Sommer- halbjahr die gesamte Trinkwassererwärmung übernehmen und so die übrigen Wärmeerzeuger im Netz, wie etwa Hackschnitzel- oder Gaskessel, erheblich entlasten. Neuere technische Entwicklungen, wie die sogenannten PVT-(PhotoVoltaikThermie) Kollektoren, die sowohl Strom als auch Wärme aus Sonnenenergie gewinnen können, bieten noch mehr Flächeneffizienz. Die fassadenintegrierte Solarthermie, die besonders im Frühjahr und Herbst die tief stehende Sonne optimal ausnutzt, kann eine etwaige Flächenkonkurrenz zur Photovoltaik verringern.

Die Oberflächennahe Geothermie ist hinsichtlich Technik und Effizienz eine praxiserprobte Lösung, wenn keine Fernwärme zur Verfügung steht. Im Bereich des Gebäudebestands hat die Oberflächennahe Geothermie das Potenzial, große Teile des Wärme- wie auch Kältebedarfs sicherzustellen, da Erdwärmesonden oder -kollektoren unabhängig von der Geologie des jeweiligen Standortes - und damit faktisch überall - zum Einsatz kommen können. Analog zum Einsatz der Wärmepumpe im Gebäudebereich steigt auch die Nutzung der Geothermie als Wärmequelle, wie Grafik 4 verdeutlicht.

 

Abb. 4: Geothermie als Wärmequelle im Gebäudebereich bis 2045 in TWh

Quelle: Eigene Darstellung

 

2.2 Industriesektor

Im Sektor Industrie entfällt ebenfalls ein Teil des Wärmebedarfs auf die Beheizung von Räumen und die Bereitstellung von Warmwasser. Dieser ist allerdings mit einem Anteil von ca. 10 % vergleichsweise gering. Die Industriewärme zeichnet sich vor allem durch den großen Bedarf an Prozesswärme und damit meist einem höheren Temperaturniveau aus. Teilweise sind hier Temperaturen von über 1.000 °C erforderlich. Da die Erneuerbaren unterschiedliche Temperaturniveaus bedienen wird die Prozesswärme hier nach Kategorien unterschieden. Die erste Kategorie bezeichnet die Nieder- und Mitteltemperaturanwendungen der Prozesswärme, diese gelten hier bis zu einem Temperaturniveau von 500 °C. Wärmeanwendungen über 500 °C werden hier als Hochtemperaturanwendungen bezeichnet.

Die Tendenz eines reduzierten Verbrauchs findet sich auch in der industriellen Prozesswärme wieder. Aktuell entfällt der größte Anteil (mehr als 40 %) noch auf Anwendungen über 500°C. Dieser wird jedoch im Zeitverlauf geringer. Zurückzuführen ist dies auf die zu erwartenden Veränderungen der Industrielandschaft, vor allem im Hochtemperaturbereich sowie Effizienzgewinnen in den Hochtemperaturanwendungen, wie z.B. durch Elektrifizierung. Die Annahmen zum Endenergieverbrauch in diesem Sektor stützen sich auf die Angaben der BEE-Strommarktdesignstudie.11

Der Industriesektor bietet mit seinen unterschiedlichen Temperaturniveaus viele Einsatzmöglichkeiten, zeigt aber auch Grenzen der einzelnen Erneuerbaren Energien auf. Daher ist es hier umso wichtiger, die verschiedenen Lösungen effizient einzusetzen und sinnvoll miteinander zu kombinieren. Wie die Wärmeversorgung in diesem Segment bis zum Jahr 2045 treibhausgasneutral ausgestaltet werden kann, zeigt Abbildung 5.

Abb. 5: Industriewärme bis 2045 in TWh

Quelle: Eigene Darstellung

 

Im Temperaturbereich von über 500 °C können nicht alle Prozesswärmeanwendungen elektrifiziert werden, daher bleibt der Einsatz von Brennstoffen notwendig. Die Nutzung von Bioenergieträgern in industriellen Heizkesseln steigt daher deutlich an und wird zum zentralen Wärmelieferanten der Mittel- und Hochtemperatur-Prozesswärme. Sie liegt im Jahr 2045 bei dem Vierfachen des heutigen Niveaus. Die Nutzung verteilt sich in etwa gleichmäßig auf die Prozesswärme oberhalb von 500 °C (60 TWh in 2045) und unterhalb von 500 °C (40 TWh). Dabei werden im unteren Temperaturbereich (< 500 °C) primär feste Bioenergieträger eingesetzt, während im oberen Temperaturbereich (> 1000 °C) vor allem Biomethan und biogener Wasserstoff genutzt werden. Die restlichen TWh verteilen sich auf die Raumwärme des Industriebereichs. Ab dem Jahr 2040 wird der Einsatz von ca. 10 TWh von Wasserstoff notwendig, der unter Einsatz von Erneuerbarem Strom mittels Elektrolyse oder direkt aus Biomasse erzeugt wird.

Der Einsatz der Solarthermie hat vor allem in den niedrigen Temperaturbereichen ein enormes Entwicklungspotenzial in der Prozesswärme. Sie kann bis zum Jahr 2045 20 TWh im Temperaturniveau unter 500 °C bereitstellen. Die Wärmepumpe gewinnt auch hier an Bedeutung. Die genutzten Potenziale tragen zur Niedertemperaturversorgung mit 60 TWh im Jahr 2045 bei.

Im Temperaturbereich von 50 – 200 °C ist auch die Geothermie dazu geeignet, fossile Energieträger zu ersetzen. Erste Beispiele für die industrielle Nutzung finden sich in der Lebensmittel- und Papierindustrie. Zudem kann die Technologie beim Heizen und Kühlen von Industriegebäuden zum Einsatz kommen. Die Gewinnung von Lithium aus Thermalwasser befindet sich zwar noch in der Anfangsphase, birgt vor dem Hintergrund der immensen Nachfrage nach Lithiumionenbatterien im Zuge der Transformation hin zur Elektromobilität zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten. Da im Niedertemperaturbereich auch erdgekoppelte Wärmepumpen zum Einsatz kommen, kann Geothermie hier ebenfalls als Wärmequelle fungieren. Das Potenzial zeigt die folgende Grafik 6.

Abb. 6: Geothermie als Wärmequelle im Industriebereich bis 2045 in TWh

Quelle: Eigene Darstellung

 

2.3 Nah- und Fernwärme

Neben den dezentralen Wärmeanwendungen werden die beiden Sektoren auch über die Wärmenetze versorgt. Im Hintergrund des Netzausbaus, und damit des verstärkten Einsatzes dieser zentralen Wärmeanwendung, steigt die Bedeutung der Nah- und Fernwärme in dem Betrachtungszeitraum bis zum Jahr 2045.

Der Einsatz Erneuerbarer Energien muss neben dem Wegfall der gesicherten Leistung, der mit dem Kohleausstieg bis 2030 und dem anschließenden Ausstieg der Fernwärmeerzeugung aus Erdgas einhergeht, auch die steigende Nachfrage nach leitungsgebundener Wärme kompensieren.

Die Einspeisung von Wärme aus Holzfeuerungen und aus Biogasanlagen in Nah- und Fernwärmenetze wird sich dafür bis zum Jahr 2045 verdoppeln. Bei Holzfeuerungsanlagen wird dabei ein Trend von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK-Anlagen) hin zu dezentralen Heizwerken angenommen, während bei der Biogasnutzung hochflexible KWK-Anlagen dominieren, die primär strommarktorientiert gefahren werden, um Schwankungen in der Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie auszugleichen.

Abb. 7: Fernwärme bis 2045 in TWh

Quelle: Eigene Darstellung

Die Solarthermie bestreitet heute noch einen geringen Anteil der leitungsgebundenen Wärmeversorgung. Aktuell speisen knapp 50 solarthermische Großanlagen in Deutschland CO2-freie Wärme in kleine und größere Wärmenetze ein. Noch einmal so viele sind derzeit in Planung (Stand: Oktober 2022). Dabei ist die durchschnittliche Kollektorfläche der in Planung befindlichen Anlagen mit knapp 6000 m² fast doppelt so groß wie die der bereits laufenden Anlagen. Bis zum Jahr 2030 wird von einem deutlichen Wachstum ausgegangen, bis schließlich in 2045 15 TWh solare Wärme in Netzen geliefert werden. Das theoretisch vorliegende technische Potenzial ist allerdings noch einmal deutlich höher.12

Die Potenziale der Solarenergie in der Nah- und Fernwärme erhöhen sich aufgrund neuer und weiterentwickelter Technologie. Die konzentrierende Solarthermie birgt neben den Industrie- anwendungen auch Potenziale für die leitungsgebundene Wärme. Erste Pilotprojekte gehen noch dieses Jahr ans Netz. Es ist zu erwarten, dass diese auch in Zukunft einen bedeutenden Beitrag zur leitungsgebundenen Wärmeversorgung leisten.

Der Einsatz von Großwärmepumpen gewinnt bis zum Jahr 2045 deutlich an Bedeutung für die leitungsgebundene Wärmeversorgung. Diese Wärmepumpen-Anlagen für Wärmenetze reichen in der Leistungsgröße von dreistelligen kW-Werten bis zu 50 MW - in einzelnen Projekten auch noch weit darüber. Dabei ist die Effizienz und Wirtschaftlichkeit dieser Systeme stark abhängig von der Temperatur der Wärmequelle sowie der Wärmenetztemperatur. Bemessen an der erschlossenen Energie dürften künftig Erdwärme, nicht vermeidbare Abwärme, Abwasser und Oberflächengewässer überwiegen, während Außenluft nutzende Wärmequellen vor allem in kleineren Wärmenetzen relevant werden.

Die Tiefe Geothermie ist geeignet, in bestehende Netze Wärme einzuspeisen – auch Wärme bis 100 °C – und dabei fossile Energieträger zu ersetzen. Eine aktuelle Studie der Fraunhofer Gesellschaft und Helmholtz-Gemeinschaft geht davon aus, dass sich die Bereitstellungsmenge der hydrothermalen Tiefen Geothermie bis 2030 auf bis zu 100 TWh pro Jahr ausbauen lässt.13 Die Technologie hat einen sehr geringen Flächenbedarf und arbeitet hocheffizient. Unter Einsatz von 1 kWh Strom können konstant bis zu 30 kWh Wärme bereitgestellt werden. Auch hier fungiert die Geothermie als Wärmequelle.

 

3. SCHLUSSFOLGERUNGEN

Eine Wärmeversorgung zu 100 % aus Erneuerbaren Energien ist möglich. Vor allem in den kommenden Jahren wird es darauf ankommen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Förderbedingungen so auszurichten, dass die Erneuerbaren Wärmetechnologien ihre Potenziale im vollen Umfang ausschöpfen. Dabei gilt es, einige der derzeitigen Kapazitätsgrenzen, z.B. hinsichtlich Lieferengpässen, Fachkräften und der Erschließung von Biomassepotenzialen, zu überwinden. Dies erfordert entschlossenes Handeln der politisch Verantwortlichen und einen Rechtsrahmen, der allen Akteuren der Wärmewende Planungssicherheit für den Aufbruch zu Erneuerbaren Energien bietet. Wird die Wärmeversorgung, wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt, transformiert und damit Erneuerbare Energien in ausreichender Geschwindigkeit ausgebaut, ermöglicht dies den Ausstieg aus der fossilen Wärmeversorgung „just in time“.

Die Grafik zeigt, dass der Umfang des Einsatzes der Erneuerbaren Energien und die Geschwindigkeit des Ausstiegs aus der fossilen Wärmeversorgung deutlich schneller voranschreiten müssen, um die genannten Ziele zu erreichen. Im Jahr 2045 können 97 % der Wärmeversorgung in Deutschland mit Erneuerbaren Energien erreicht werden. Die restlichen 3 % entfallen auf die unvermeidbare Abwärme sowie den nicht biogenen Teil des Abfalls.

Abb. 9: Prozentuale Entwicklung des Einsatzes Erneuerbarer Energien bis 2045

Quelle: Eigene Darstellung

Der gezeigte Ausbau des Wärmeszenarios geht von einer wärmefreundlichen Ausgestaltung der Energiemärkte aus. Die dafür formulierten Maßnahmen und Forderungen in dem Papier „BEE-Maßnahmenvorschläge für die Beschleunigung der Wärmewende und des Klimaschutzes“ können als Mindestanforderung für die hier gezeigten Ergebnisse verstanden werden. Diese müssen jetzt umgesetzt werden, um hinter den Zielvorgaben nicht weiter zurückzufallen. Mit einer zügigen und ambitionierten Neuausrichtung des gesetzlichen Rahmens, kann die Wärmewende bis zum Jahr 2045 vollzogen werden.

 

1 Agora Energiewende, 2022: Energiesicherheit und Klimaschutz vereinen

2 BMWK, 2022: Dritter Fortschrittsbericht Energiesicherheit

3 AGEE-Stat und Umweltbundesamt, 2022: Erneuerbare Energien in Deutschland – Daten zur Entwicklung im Jahr  2021

4 BMWK, 2022: Eröffnungsbilanz Klimaschutz

5 Fraunhofer IEG, 2022: Roadmap Oberflächennahe Geothermie

6 Fraunhofer IEG, 2022: Roadmap Tiefe Geothermie für Deutschland

7 Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik, 2022: Metastudie zur nationalen Erdwärmestrategie

8 Umweltbundesamt, 2020: Kommunaler Klimaschutz durch Verbesserung der Effizienz in der Fernwärmeversorgung mittels Nutzung von Niedertemperaturwärmequellen am Beispieltiefengeothermischer Ressourcen

9 Bundesverband Erneuerbare Energie, 2021: Studie „Neues Strommarktdesign“

10 Agora Energiewende, 2018: Wert der Effizienz im Gebäudesektor in Zeiten der Sektorenkopplung

11 Bundesverband Erneuerbare Energie, 2021: Studie „Neues Strommarktdesign“

12 Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), 2021: Was Erdgas wirklich kostet: Roadmap für den fossilen  Gasausstieg im Wärmesektor

13 Fraunhofer IEG, 2022: Roadmap Tiefe Geothermie für Deutschland

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